Greifvogelschau auf der Photokina 2016

Nein, ihr habt die Greifvogelschau dieses Jahr nicht verpasst oder übersehen – nur um das vorweg zu nehmen.

Photokina in Köln. Der Treffpunkt für alle Fotografiestudenten und Alumni. Ich möchte ein wenig erzählen, wie wir die Profifototechnikmesse besuchen; den Höhepunkt des Fotojahres.

2016 bin ich Besucherin. Als solche möchte ich natürlich die Greifvogelschau sehen. Schließlich ist sie das erste Event, das wir Studenten mit dem Wort ‚Photokina‘ assoziieren. Mit ein wenig Phantasie sehen wir bereits vom Bahngleis aus mehrere Greifvögel, braun getupfte Bussarde und winzige Adler, vor blauem Hintergrund ihre Runden um das Logo der Messe ziehen. Dieses Jahr kommt alles anders: die Aufgabe in der Luft übernehmen in der Realität lediglich ein Flugzeug und der Mond.

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„Alter, warum sind hier so viele Menschen, ey!“, stellt eine junge Frau in Chucks und Schlabberjeans neben mir fest. Wir warten mit 2924 Menschen vor dem Eingangsportal, dass die Tore endlich geöffnet werden.
„Ich hab‘ kein‘ Bock“, bemerkt eine andere und zieht an ihrer Zigarette. Rauchwolken steigen aus der Gruppe gleichaltriger und gleich aussehender Frauen empor.
Kein Bock? Nein, der Aussage kann ich mich nicht anschließen, denn ich möchte meine Kommilitonen sehen. Die sind nämlich alle schon drin.

Ich frage mich, ob ich dem Rauch ausweichen sollte, bleibe aber meinem Sitzplatz, einem hart erkämpften Stein, treu und philosophiere über die erste Frage des Tages, auf die ich spontan keine Antwort weiß:
Warum bringt man seine eigene Kamera mit zu einer Messe, bei der man nagelneue moderne Kameras aller Art ausprobieren kann?
Ich kenne niemanden, der zur Buchmesse seinen Lieblingsschmöcker mitschleppt. Höchstens vielleicht zur Unterhaltung für den Hinweg.

„Eine Kamera ist ein Statussymbol“, klärt mich einer der Fotostudenten später auf.
Er hat recht. Es scheint wie ein öffentliches Zugeständnis der Profifotografen zu einer der Parteien der Messe zu sein. Gleichzusetzen mit einem Fußballtrikot, Wahlplakat oder einer Fahne.
Ein zweiter Kommilitone steht in voller Standmontur an seinem Arbeitsplatz und beobachtet die circa zwanzig Prozent der Besucher, die die kunstvollen Aufbauten der Firma auf ihren eigenen Chip bannen.
„Naja, manche leihen ja auch Objektive bei uns aus. Die testen sie dann auf ihren Privatkameras“, tröstet er sich. „Außerdem gibt es den Cleaning Service. Da reinigen Experten die Sensoren.“ Auf dem Sensor meiner Dicken sitzt mindestens ein Staubkorn fest, erinnere ich mich und schlendere mit dem Gruselgedanken durch die Hallen und Gänge. Hätte ich sie doch mitgenommen …

Ich stehe vor einem Spielplatz, auf den kein Besucher einen Fuß setzt. Alle stehen davor, betatschen die angeleinten Kameras – auch ich kann der Versuchung, dem Gruppenzwang, nicht widerstehen und strecke meinen Arm aus – und schauen zu.

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Ein Mann vor mir fotografiert die Schaukel genau in dem Moment, als sie nach hinten schwingt. Das passiert alle sieben Sekunden *klick. Wieder nach vorne und nach *klick und hin und *klick und … und *klick und … *klick und … – vermutlich, weil Schaukeln so großartig und im Stadtbild sonst nirgendwo zu finden sind.

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Zurück zum Thema Höhepunkt für Fotostudenten – ein Definitionsversuch:
Die Photokina ist ein Treffpunkt, an dem sich alle zwei Jahre Studenten und Alumni der Fotobranche treffen. Für eine Woche Accordarbeit bekommt ein Fotostudent einen Lohn, den er in folgender Form aufteilen wird:
1 Monat Miete
1 wenig Butter aufs Brot
1 dreitägige Reise für ein freies und kostspieliges Fotoprojekt

Klingt verlockend und genau deshalb, ja, ich sagte es schon, trifft man sich recht zuverlässig auf der Photokina. Das heißt für mich, dass ich heute vier verschiedene Stände abklappern muss, um alle zusehen. Vor Ort unterhalten wir uns möglichst offensichtlich über die präsentierte Technik, um niemanden zu verschrecken. Auf der Metaebene geht es aber um die aktuellen Projekte und Jobs.

Ich nehme an dem Technikkonzert übrigens deshalb auf der Besucherseite teil, da mein neues Studium bereits begonnen hat – scheinbar sind nur reine Fotostudenten eine Woche lang von allen Pflichten befreit. Photokina heißt für sie und ihre Lehrenden Ausnahmezustand, sichert sie doch die Mieten der Studierenden und stellt so eine ihrer unentbehrlichen Einnahmequellen dar.

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Ich erschrecke mich!
Ein Mann schleppt ein Teleobjektiv mit sich herum. Es ist so lang und dick wie sein Oberschenkel. Ob er schon einen Arzt- oder Massagetermin für den nächsten Tag gebucht hat? Die Messe geht immerhin ganze acht Stunden und er steht jetzt schon schief. Wenn der nicht zur Greifvogelschau will, wer dann? Das muss es sein! Ich folge ihm einige Meter, aber er läuft zickzack.

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Zählen Möwen eigentlich auch zu den Greifvögeln?
Dann könnte ich sie gefunden haben, diese Installation könnte die Greifvogelschau sein!
Wenn nicht, dann möchte die Photokina dieses Jahr ausdrücklich auf die metaphorische Kraft des mühevoll kreierten und in die Köpfe der Menschen festgesetzten Wortes aufmerksam machen: Greif-…-schau
Aha! Es geht darum, die neue Technik zu begreifen! Wusst‘ ichs doch! Zur Schau gestellt werden dabei Objekte, Studenten als Kundenberater und Models als Fokuspunkt für Geschwindigkeit und Schärfe. Daran, dass ein Mensch in unserer unmittelbaren Umgebung aktiv posiert, haben wir uns noch nicht gewöhnt. Wenn er aber in seiner Pose eingefroren, auf riesige Plakate gedruckt und an jede Wand gekleistert wird, dann ist das für uns normal geworden.

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Nach zweieinhalb Stunden habe ich die Galerien und alle Kommilitonen gesehen. Ermüdet und hungrig stürme ich zum Ausgang. Beinahe kollidiere ich dabei mit Menschen, die von einem Moment auf den anderen zu Robotern mutierten.

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Ich betrachte sie kurz, dann ergreife ich die Flucht nach Ruanda (siehe Buchempfehlung).

PS: Alle Bilder des Blogeintrages wurden mit der 13 Megapixel Hauptkamera meines Smartphones, natürlich durch einen Filter alias speckiges Schutzglas vor der Linse, aufgenommen.

 

Die Buchempfehlung
Wie am Ende von jedem Blogeintrag.

Was ist da eigentlich damals 1994 in Ruanda passiert?
Ich weiß nicht so recht, ob das eine Leseempfehlung ist, ich glaube eher nicht. Aber ich habe das Buch auf dem Hin- und Rückweg, dank verspäteter Bahnen, zu einem Großteil gelesen.
„Ein Sonntag am Pool von Kigali“ von Gil Courtemanche.
Klar ist: Möchte man den Genozid zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda besser verstehen und kann man die detaillierten brutalen und sexistischen Schilderungen des Autors verkraften oder ausblenden, dann sollte man einmal in dem Buch blättern und etwas über die Wut, Macht und Machtlosigkeit der Menschen erfahren.