Tinnitus, das blutsaugende Biest

3:32 Uhr – Es surrt. Mal lauter, mal leiser, aber immer ist es da. Manchmal entfernt es sich so weit, dass ich nicht mehr sagen kann, ob ich das monotone Geräusch noch höre. Wie ein Tinnitus schwirrt es trotzdem durch meinen Kopf. Ich weiß es einfach, es ist noch da. Leider nervt das gehörig.
Es ist zwar nicht das Geräusch, was mich mehrmals nachts aufschrecken lässt, sondern vielmehr dessen Folgen. Wenn sich die sechs kleinen, drahtigen und einmal geknickten Stäbe, eingeleitet von einem lauten Brummen, auf meine Haut setzen und der Rüssel gierig nach der am besten zum Anstechen geeigneten Pore sucht.
Ohh, wie ich dieses Wesen hasse. Unermüdlich trotzt es meinen Verscheuchungsversuchen.

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Ich ziehe die Bettdecke bis über meinen Kopf und das Summen wird gedämpft. So nicht, mein Freund! Geh hinfort, weit weg!
Leider muss ich vor dem blutsaugenden Minimonster aufgeben, ich schnappe nach Luft. Aber wo sollte es auch hin, die Zimmertüre habe ich fest verschlossen und die Ritzen als Abwehr vor anderen Moskitos mit Handtüchern verstopft.
Also doch wieder aufstehen, die Bettdecke zur Seite schieben und die Flipflops, mein ultimatives Jagdwerkzeug, vom Boden aufheben und Lauschen. Es fehlt noch eine Komponente, das Licht. Ich schalte mein Handy an, richte die Displaybeleuchtung auf die weiße Wand und bin ganz still.
Der Tinnitus kommt, lauter, leiser, wieder lauter, laut!
„Wo bist du?“, möchte ich ihn anschreien. Aber es hilft alles nichts, er hat meine Falle durchschaut und macht sich vermutlich hinter meinem Rücken über mich lustig.

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Ich krieche stöhnend aus meinem Bett und knipse das große Zimmerlicht an. Im Schlafanzug, mit schläfrigen Augen und verwuselten Haaren, stehe ich nun mitten in meinem Zimmer. „Ohhh, wenn ich dich bekomme!“, schießt es mir durch den Kopf. Ich bin von Wut getrieben und starre ins Zimmer.
Die Wut entwickelt sich zur Verzweiflung, nach 10 Minuten gebe ich auf. Zu viele Muster im Raum und das kleine Biest weiss diese als Versteck zu nutzen.

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Nun etwas wacher durchsuche ich meinen Schrank nach… ja, DEET! Ich sprühe mich und direkt auch mein Kopfkissen mit dem Zeugs ein. Ziehe mir Socken an und stopfe das T-Shirt in die Hose. Wenn ich den Kleinen schon nicht töten kann, muss ich wohl die Verteidigungsstrategie anwenden.
Eine halbe Stunde kann ich nicht einschlafen, weil mich das Zeug fast zum Ersticken bringt. Mein Mund ist ausgetrocknet und ich versuche mich nicht zu bewegen, um diese verseuchte Luft nicht noch aufzuwirbeln. Vermutlich sterben gerade etliche Gehirnzellen, alle gestern mühsam gelernten Vokabeln sind wieder futsch.
Aber! Der Tinnitus ist nur noch ganz leise und wird nicht mehr lauter. Ziel erreicht, dafür muss man eben Opfer bringen.

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8:00 Uhr – Ich werde wach, an die nächtliche Aktion erinnern lediglich die Deet-Sprühflasche, die Socken und meine Müdigkeit. Ich höre keine Mücke mehr. Ob sie wohl gestorben ist und aufgegeben hat? Oder sie schläft und wartet auf heute Abend.
Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass sie wohl vor 3:32 Uhr schon in den Genuss meines Blutes gekommen ist.
Prost Tinnitus!