Salsa im Wohnzimmer – Danke Couchsurfing!

„Feel the music, just feel it!“, strahlt Romeo aus Sizilien, während uns lateinische Rhythmen umgeben. Draußen zwitschern die Meisen, eine Bohrmaschine setzt sich in Gang und der leichte Wind bläht den provisorischen Vorhang der Vormieterin auf. So kenne ich diesen Ort, aber jetzt überschattet die Musik den Raum und das Licht flutet die kleine freie Laminatfläche, fast verwandelt sie sich in die braunen Tanzplatten der Salsaparty im Westpark.
Nein, wir befinden uns in meinem Wohnzimmer und zum Tanzen braucht man nicht viel, nur Musik und Lebensfreude.

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„Wie, du hast hier keine Salsa Musik parat?
Tanzt du nie zu Hause?„, hatte er mich gerade gefragt, als ich noch am Kaffe nippe und überlege, ob ich nicht noch ein Brot esse, Nutella, na, die Billigvariante, ist einfach göttlich.
Er springt auf und holt sein Handy – Will er jetzt wirklich tanzen?
Wenn ich tanze, gehe ich eher irgendwo hin, zu Hause wird nur bei einer Feier getanzt. Warum eigentlich? Musik hört man doch auch einfach so spontan und ich liebe es zu tanzen.
Eine merkwürdige Kultur haben wir doch.

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Viel zu lange war ich nicht mehr zur wöchentlichen Salsaparty in den Westpark gegangen.
„I saw the pictures of all those people dancing, so I had to come!“, erklärt er, als mein Freund und ich ihm Pfannkuchen brutzeln, Speckwürfel hinein stopfen und Käse darauf verlaufen lassen.
Für die Dortmunder Party hat Romeo seinen Amsterdamtrip um einen Tag verkürzt, für ihn besteht das Leben aus Tanz: Wenn der Speck in der Pfanne brutzelt, stepp er eine Runde, wenn der Kaffee langsam kalt wird, dreht er die Musik auf und auf dem Weg zum Tisch zeigt er mir ein Salsavideo.
Ursprünglich kommt er aus Kamerun, seit 15 Jahren lebt er in Italien. Jetzt überlegt er, nach Straßburg zu ziehen.

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Abends schlendern wir in die Stadt und tanzen in die Nacht hinein. Der Veranstalter bohrt Fakeln in die feuchte Erde am Rand der Tanzfläche in den Boden und bunte Lichter bringen die Füße der Tanzenden zum Leuchten. Flotte Beine mit farbigen Rändern sind das Ergebnis.
„Tu veux danser?“, fragt Romeo mich immer wieder, ab und zu kommt ein „Quieres bailar?“ von einem Latino oder ein „Nehmen wir die Salsa zusammen?“
Aus lauter Verwirrung beginne ich mit Romeo spanisch zu sprechen, aber das ist egal, wir tanzen. Sprache wird hinten angestellt, tanzen kann jeder, einfach irgendwie im Takt wippen und dazu gehören. Zum Glück gibt es genug Männer, wie in Costa Rica damals.
Ich treffe noch zwei Syrer, die seit drei Jahren in Deutschland leben, beide studieren gerade und haben in der Zeit sehr viel Deutsch gelernt. Ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie es ist, unfreiwillig alleine in ein fremdes Land zu reisen, dessen Sprache man nicht spricht.
Wohlwissend, dass die ganze Familie zu Hause im Krieg sitzt und jeden Tag verletzt oder gar getötet werden könnte.
Wissend, dass man nicht zurück kann, sich mit der neuen Situation anfreunden muss.

Einer erzählt mir, dass die Grundschule seiner Schwester in die Luft gebombt wurde. Zum Glück waren die Kinder zufällig gerade nicht da gewesen. Er erzählt, als ob es Alltag wäre, es scheint normal. Viel mehr sorgt er sich, dass seine Schwester nun nicht mehr zur Schule gehen kann und seit drei Monaten zu Hause sitzt.
Wir tanzen weiter.

Sogar mein Freund wagt sich an die ersten Schritte heran und lässt sich von Romeo und dem begeistert tanzenden Mopp auf der Fläche motivieren: „Du musst nur den Grundschritt und die erste Drehung der Dame lernen, der Rest kommt von selbst. Dann siehst du irgendwo etwas und fragst nach, wie das geht. Schau hier; One, two, three… five, six, seven… „.
Er tanzt: „Ist doch gar nicht so schwer, diese Salsa.“
Ich treffe während dessen Studenten vom Unisporttanzkurs und tanze mit Menschen, mit denen ich schon öfters getanzt habe, aber deren Namen ich nicht kenne. Dafür weiß ich bei jedem, welchen Stil er tanzt, New York Style, kubanisch, wie er sich bewegt, wie er die Damen führt, welche Freiheiten er ihr lässt.
Ich bin gerne frei beim Tanzen, Freestyle, aber nicht zu viel.

Irgendwie ist die Dortmunder Salsaszene doch klein, so wie es einem in jedem Bereich des Lebens vorkommt – irgendwann kennt man die Fotografen, die so arbeiten wie man selbst und auch die lokalen Schriftsteller.
„Ich habe getanzt, jetzt bin ich glücklich“, berichtet Romeo, als er von der Fläche zurück kommt und sich mit seinem kleinen Handtuch die Stirn abwischt.

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„Feel the music!“, summt Romeo, dreht sich im Kreis, dreht mich im Kreis. Jetzt lerne ich spontan Kizomba in meinem Wohnzimmer, denn Romeo ist Salsalehrer in Süditalien. Cumbia kennt er leider nicht. Ich glaube, dass in dieser Wohnung noch nie an einem Samstag um 9:37 Uhr morgens getanzt wurde. Da räumt man vielmehr die Reste vom Vortag auf oder frühstückt gemütlich und erzählt über den letzten Abend. Nein, unser Gast ist tanzverrückt, erzählt von Tanzflächen am Strand in Sizilien mit Sonnenschein und lässt uns durch seine Erzählungen reisen. Wenn man gerade selbst nicht durch die Welt jettet, dann kann man sich die Welt nach Hause holen.

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– You’ve got friends all over the world –
wirbt das Netzwerk Couchsurfing auf seiner Website.

Und heute Abend?
Werde ich eine 180 Grad Drehung machen und einen Stern vom Discofoxhimmel greifen – das Neusser Schützenfest steht auf der Tagesplanung und nach der Fotoarbeit wird gesteppt 😉