Ein paar von euch habe ich auf dem Neusser Schützenfest getroffen.
Ja, es ist tatsächlich so: Will man alte Bekannte aus der Schule treffen, muss man nur zu diesem legendären Fest im August gehen.
Brauchtum muss man pflegen, sonst vergeht es.
Anscheinend gelingt das den Neussern sehr gut, denn mit mehr als 7.500 Schützen existiert hier das größte Schützenfest Deutschlands.
Die Hannoveraner haben zwar mehr Schützen, aber die sind nicht alle aus der eigenen Stadt -> Nicht böse sein, wir Neusser zählen anders 😉
Zwei Tage habe ich von morgens bis abends fotografiert, bin den Marschierenden bis in ihre Rückzugsorte gefolgt. Und ganz plötzlich befand ich mich mitten zwischen Bier trinkenden, schwitzenden Männern. Gefühlte 35 Grad im Schatten machen uns allen zu schaffen – zum Glück darf ich im T-Shirt arbeiten und muss kein mit Orden behangenes Sakko tragen.
Brauchtum, da hat auch die Frauenquote keine Chance.
Was wäre nur, wenn plötzlich 50% der Schützen weiblich wären? Der Zug würde nicht nur zwei Stunden länger dauern, es würde den werten Herren niemand mehr zujubeln.
Nein, ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass die Frauen auch aktuell eine großartige Aufgabe habe: Den Herren ihre Liebe zeigen, indem sie ihnen während des Festzuges Blumen überreichen und natürlich für ihr Wohl sorgen. Irgendwie muss man das Wasserreservoir des Körpers ja wieder auffüllen.
Ja, ohne Frauen könnte das ganze Fest nicht stattfinden, denn was wäre, wenn da niemand am Rand stünde?
Dieses Jahr wurde der Umzug live im TV übertragen, so liefen auch Kamerateams mit uns zahlreichen Fotografen um die Wette.
Dennnoch hatte ich eine Freundin, die früher auch mitlaufen wollte. Da fängt die Diskriminierung an, wenn man aufgrund des Geschlechts nicht mit darf. Trotzdem hatte sie bald eine Lücke im System gefunden: „Ich werde Musikerin! Ich lerne ein Insturment und spiele in einem Korps! Am liebsten im Reuschenberger, das sind die besten!“
Nicht nur die zahlreichen Musikkapellen, Tambour-, Fanfarenkorps und Regimentsbläser dürfen für das Ambiente nicht fehlen. Auch die Fahnenschwenker, die ihre Flaggen mehrere Meter in die Luft katapultieren und elegant wieder auffangen, werden bewundert und beklatscht. Zurecht!
Nun gut, wie sieht das mit den Männern aus.
Haben die denn überhaupt eine Wahl? Darf man sich als Mann die Blöße geben, nicht mitzuziehen, oder ist man sogar verpflichtet dazu?
In einigen Positionen zählt sicherlich letzteres.
Und wie ist das mit Ausländern?
Da habe ich kaum welche gesehen. Die dürfen natürlich mitgehen, kein Problem. Allerdings wollen sie das von sich aus nicht, denn Brauchtum ist tief in der Kultur verankert und man versteht es nur, wenn man damit aufgewachsen ist. Wenn die Kinder schon im zarten Alter von zwei Jahren am Rand des Festzuges im Kinderwagen sitzend das Spektakel beobachten und alle Erwachsenen mit leuchtenden Augen daneben stehen, dann kann man es nur lieben lernen.
Natürlich tragen die Kids einen speziellen neonfarbenen Kopfhöhrer, der garantiert keinen Laut hindurch lässt und deshalb als riesiger Klumpen den Gehörgang des Kindes schützt. So lassen sich auch die Trommeln auf Augenhöhe genießen.
Nein wirklich, beim Fotografieren habe ich mich öfters hingehockt und da werden einem die Märsche mit einigen Dezibel mehr ins Ohr geschmettert. 🙂
Brauchtum, also nur verständlich für Leute, die tief in der Gemeinschaft aufgewachsenen sind.
Und wenn man sich das genauer ansieht, kann man das auch nicht verstehen: Da laufen plötzlich tausende bei menschenunwürdiger Hitze in Reih und Glied über die Straße, küren einen König, verehren und bejubeln ihn und böllern was das Zeug hält. Für eine Woche herrscht Ausnahmezustand in der Stadt am Rhein und alle scheinen mitzumachen. Jeder genießt die Zeit und vergisst alle Probleme.
Tja, aber so ist das mit dem Brauchtum anscheinend.
Von außen betrachtet sehr merkwürdig, aber wenn man dazu gehört, ist man mit Herz und Seele für immer dabei.
Hier findet ihr Teil zwei, es geht um Musiker und Kirmes. 🙂
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