Hätte ich das vorher gewusst, dann hätte ich mich anders vorbereitet, oder überhaupt vorbereitet.
Dann wäre ich aufgeregter gewesen und hätte auch mehr Vorfreude auf dieses Erlebnis gehabt.
„Kleine Demonstration, so 15 Leute vielleicht. Ne halbe Stunde. Aber die machen Stimmung.“, hat David mir gestern Morgen im Kurs gesagt, als wir über die Fotosession für das Wochenblatt der Uni sprachen. Insgesamt habe ich fünf Kurse Kurse belegt und bei einem davon arbeite ich in der Unizeitung mit. Eine Art Praktikum, bei welchem man das ganze Semester über Zeit hat, sich die Abläufe in einer Zeitungsagentur mal genauer anzusehen und natürlich auch selbst mitzuwirken. Da mir das Schreiben für eine große, offizielle Zeitung doch etwas schwer fällt, gehe ich erst einmal mit den Autoren mit und fotografiere für sie.
Der Treffpunkt für den neuen Artikel von David ist um 17 Uhr. Verabredet sind wir am Perfil, dem großen Platz vor dem Hauptgebäude der UCR, bestückt mit einem schicken Springbrunnen, der in der vorlesungsfreien Zeit restauriert wurde. Außerdem gibt es dort noch viele Bänke und der Eingang zur Hauptbibliothek zeigt ebenfalls auf den zentralen Platz. Perfekt für Demonstrationen, wenn man Aufmerksamkeit haben möchte. Gerade während der Semana U befinden sich hier sehr viele Studenten, die sich ausruhen, open Air Schauspielern und Clowns zuschauen oder in Gruppen zusammen sitzen und erzählen.
Erst stehen dort nur drei Mädels, die nicht wirklich als wilde Demonstranten erkennbar sind. Sie haben lediglich eine regenbogenfarbene Fahne dabei und ein kleines Mikrofon.
„Mi beso es una revolución!“
(Mein Kuss ist eine Revolution!)
Dann geht es los, eine kleine Runde, unter permanentem Geschrei meiner Kommilitonen, durch San Pedro und letztendlich zu einer Bar namens Pueblo Viejo. Warum genau hier protestiert wird, habe ich nicht so recht verstanden, aber die Studenten machen ordentlich Lärm und protestieren mit allen Kräften. Zwei junge Männer küssen sich leidenschaftlich, während Regenbogenfahnen über ihre Köpfe schwingen.
… Ein großer Aufruhr in der engen Partystraße, es schließen sich immer mehr Menschen an, viele bleiben stehen und schauen zu. Letztendlich sind es bestimmt 50 Leute, die voller Überzeugung und mit aller Kraft die Lieder mitschmettern und ununterbrochen versuchen, die Trommeln und das Hupen der Autos, die in der Menschenmasse feststecken, zu übertönen.
Enthusiastisch laufe ich vor die Gruppe und dahinter, dazwischen und stehe im Weg. Fast stolpere ich rückwärts laufend auf der Suche nach dem perfekten Bild, welches die Stimmung einfängt.
Drin sein, ganz nah dran sein.
Dazu gehören.
Das Geschehende fühlen und einfangen, aufgreifen und auf die Karte bannen.
Dann bin ich drin in diesem Rausch.
Ich hatte nicht gewusst, dass das ganze solch ein Spektakel wird. Hatte nicht damit gerechnet, dass ich eine kleine Sportsession vor mir haben würde. Hinhocken, aufspringen, die Kamera in die Höhe halten, die Zeit umstellen, einen Blitzdiffusor improvisieren, nach vorne vor die schreiende Masse laufen, Emotionen!, den Ausschnitt überlegen, wieder hinknien, Kamera ausrichten, schnell abdrücken, aufspringen, weiter laufen, nicht überrannt werden…
Das Resultat:
150 Fotos, 1 ½ Stunden Sport und ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Gleichzusetzen mit jeder Crossfit oder Zumba Sportsession und jedes Mal aufs neue einmalig!
Nur an eine emotionale Rumba oder eine spaßige Salsa kommt das nicht ran 😉