Die letzte Woche war ich 49 Stunden an vier Tagen an der Uni.
Das sind im Schnitt 12,25 Stunden pro Tag.
Aber warum?
Was ist da los?
Montag, 7:00 Uhr, Fotojournalismus
Gespannt stehe ich in dem zitronengelben Flur vor dem Sala de Mac im richtigen Gebäude, zumindest nach meinem Plan. Draußen ist es schon lange hell, dementsprechend viele Studenten sind schon auf dem Campus unterwegs. Zwei andere Grüppchen von Studenten, die bestimmt auch auf den Kurs warten, stehen in meiner Nähe.
Sicherlich meine neuen Kommilitonen. Wer hat sonst schon Montag morgen um 7 Uhr Uni, wundere ich mich wieder, denn in Deutschland fangen die Kurse doch eher um 9 Uhr an. Die jungen Ticos unterhalten sich freudig und plaudern aufgeregt über irgendwelche Themen. Bestimmt geht es um das Wochenende oder die wundervollen Erlebnisse der letzten Tage.
Ich frage nach, ob sie auch den Fotojournalismuskurs besuchen würden. – Das habe ich in Costa Rica schon gelernt, nach allem fragen. – Leider bekomme ich aber eine enttäuschende Antwort, denn keiner der Studenten ist für den Kurs hier.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Was nun? Bin ich vielleicht sogar komplett falsch? Der Campus ist so groß, da muss man sich ja fast verlaufen.
Ich solle mich doch zu ihnen gesellen, wo ich her käme und was ich denn genau studieren würde, wollen sie interessiert wissen. Es werden Hände geschüttelt und ich werde zur Begrüßung abgebützt, fast so wie in Frankreich. Hier ist es aber nur ein einziger an die rechte Wange.
Namen fliegen durch die Luft. Ich kann mir keinen einzigen merken, denn in meinem Kopf schwirrt nur der Gedanke, dass ich hier wohl vielleicht doch falsch bin. Ob es wohl schlimm ist, wenn man zu spät kommt? Laut dem Klischee ja eher nicht.
Durchatmen, abwarten – das Gespräch tut gut. Immer mehr Studenten kommen an und alle begrüßen sich und mich freudig, springen sich um den Hals, jubeln und lachen. Die Ferien über haben sich wohl viele wirklich nie gesehen.
Irgendwann trifft tatsächlich noch eine andere Studentin ein, die den Kurs ebenfalls belegt hat. Sehr gut, zu zweit sucht es sich besser, aber Brenda winkt ab. „Lass uns noch warten.“
Der Computerraum ist offen und wir setzen uns schon einmal an die Rechner. Anschalten, einen Knopf drücken, kein Problem. Doch dann begrüßt mich das BIOS und ich gucke fragend zurück.
„Ah, du warst hier noch nicht im Raum, stimmt’s?“, fragt Brenda mich und erklärt mir, dass ich zwischen Windows und Ubuntu wählen kann. Alle anderen entscheiden sich ohne zu zögern für Ubuntu, ich also auch. Mein erstes Mal Linux und dann auch noch auf Spanisch. Naja, klappt schon irgendwie, sage ich mir und luge an meinem Bildschirm auf die Monitore der anderen. Die begeben sich zielstrebig in facebook.
Wegen eines Missverständnisses treffen der Prof und die meisten Studenten erst um 8 Uhr ein und er beschwert sich durchgehend laut nuschelnd über die Größe des Kurses. Wie solle er mit 23 Studenten einen praktischen Kurs abhalten? Völlig unmöglich! Interessant, denn in Deutschland, in den Fotografieseminaren meiner Hochschule, ist eine ähnliche Kursgröße üblich. Der Kurs beginnt trotzdem und zwei Stunden später liegen mir wie aus dem nichts zwei Seiten Text zum Unterschreiben vor. Ob es sich wohl um den Vertrag einer costa-ricanischen Waschmaschine handelt? Nein, es ist ein offizieller Text mit Stempel und allem Schnick Schnack, der besagt, dass der Kurs geteilt werden soll. Wow, bei uns hätten einfach ein paar Studenten den Kurs verlassen müssen.
Einen Tag später bekomme ich vom Prof die SMS, dass die Teilung genehmigt wurde und ich im Dienstagskurs bin. Sehr gut!
Die Woche geht weiter, ich besuche deutlich mehr Kurse als ich benötige, um mir ein besseres Bild zu machen. Meistens klingen die Titel (z.B. „Neue Tendenzen im Journalismus“) sehr interessant, aber was sich genau dahinter verbirgt, bleibt geheim. In der ersten Stunde wird dann zuerst das Programm für das gesamte Semester vorgestellt und auch die Texte oder Bücher, die es zu lesen gibt. Ein paar Kurse fallen deshalb direkt weg; spanische wissenschaftliche Texte und schriftliche Ausarbeitungen darüber, sind wohl doch etwas zu viel verlangt.
Donnerstag, 20:40 Uhr, Journalismus Workshop Kurs
Meine Sprache versagt, nur noch ein paar Wörter Englisch bekomme ich aus mir heraus.
War der Plan nicht ein anderer? Wollte ich nicht Spanisch lernen und nach dem Semester auch sprechen und schreiben können?
In dem Moment, als ich dem Prof nicht einmal mehr sagen kann, dass ich die Aufgabe des Kurses nicht lösen konnte, weil mein spanisches Wortkontingent für diesen Tag aufgebraucht ist; in diesem Moment, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob mehr Hören und Lesen auch mehr bringt.
Englisch sprechend verlasse ich den Klassenraum und nehme Reißaus. Nix wie weg, bloß nicht mehr reden müssen, nur nach Hause.
Aber hungrig bin ich, seit 13 Uhr habe ich nichts mehr gegessen und auf leeren Magen denkt es sich noch schlechter. Wie soll ich wohl dem Busfahrer meine obligatorische Frage („Pasa por la U fidelitas?“ „Halten Sie an der U Fidelitas?“) stellen? Wie werde ich nach Hause kommen? Ich sehe mich schon unter einer Parkbank liegend deutsche Wörter stammeln.
Schnell die vier Stockwerke durch das mintgrüne Treppenhaus nach unten taumeln, vorbei an den Studenten zum Ausgang der UCR. Die Kantinen der Unis haben schon geschlossen, obwohl das reguläre Kursende erst in 20 Minuten ist. Schade. Einige Studenten sind noch fleißig:
Ein Duft von Pizza steigt mir in die Nase und ich begebe mich mehr oder weniger zielstrebig auf die gegenüberliegende Straßenseite zu den Straßenlokalen, die hell beleuchtet ihre Ware anpreisen. Ich passiere einen Bäcker, eine Soda (Imbissstand), noch eine Soda, einen Kiosk, einen Pizzaladen… Irgendwas muss ich nun nehmen, daran erinnert mich mein Magen. Doch ich bin nicht in der Lage mich zu entscheiden und stehe verwirrt vor einem Schild. Ich kann nicht lesen was darauf steht. Zahlen, Buchstaben, Worte, Hieroglyphen… vielleicht ist das Chinesisch?
„Qué quiere?“, fragt die junge Frau hinter der Theke mich nett aber fordernd. Ich bin überfragt und schaue sie mit leerem Ausdruck an.
„Essen! Und am besten günstig!“, hätte ich am liebsten gesagt, aber dann wäre es der armen Frau wohl so wie mir mit dem Schild gegangen.
Hilfe ist in Sicht!
Neben mir steht plötzlich Michael. Vor dem Kurs haben wir uns noch hervorragend unterhalten, jetzt kann ich ihm nicht einmal sagen, dass ich hungrig bin und die Karte nicht verstehe. Ob er mir das wohl übel nimmt?
Nein, er schaut mich wissend an und bestellt mir das gleiche, was er auch soeben geordert hat. Ich erhalte zwei Stangen Pizzabrot mit Tomatensauce und dazu ein Getränk in der altbekannten Plastiktüte.
Wie viel muss ich zahlen? Keine Ahnung. Ich wedele mit zwei 1000 Colones Scheinen vor der Frau rum. „Nur einer, nur einer“, lacht sie, verschwindet und kommt sogar mit Wechselgeld wieder. Also, günstig hat ja schon einmal funktioniert!
Michael und ich begeben uns wieder Richtung UCR und setzen uns dort auf eine Bank.
„My english is not good“, entschuldigt er sich, während er eine Ecke der Plastiktüte abreißt und den Inhalt trinkt. Ich glaube, dass ich mir bei dieser Aktion den ganzen braun-transparenten Saft über das T-Shirt kippen würde. Ich packe das zugeknotete Tütchen in meinen Rucksack.
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