Rückflug und das Geld

Je näher der Rückflug rückt, desto weniger möchte ich plötzlich gehen, es ist wie verhext. Die Freundschaften zu Tamara, María José, Matthias, Clémence, Verena, Raúl, Juan und all den anderen Menschen, wurden immer enger und der Abschied fällt mir schwer. Trotzdem habe ich mich nach meinen Reisen durch nach Nicaragua und Panama von meinen Freunden in San José verabschiedet und bin um 3:30 Uhr morgens in das rote Taxi zum Flughafen nach Alajuela eingestiegen. Was ich so lange nicht erwarten konnte, macht mir nun Angst: Ich will nicht zurück nach Deutschland. In der nächsten Sekunde schlägt mein Heim- oder Fernweh, wie auch immer man es bezeichnen möchte, um.
Sechs Monate ohne die Personen, die man liebt, zu riechen, zu fühlen, zu schmecken, zu leben… wie geht das eigentlich? Ich möchte endlich wieder in Deutschland sein!
Dann sehe ziehe ich meinen Koffer über die Schwelle des WG-Eingangsgitters, werfe den Schlüssel hinein. Jetzt gibt es kein zurück mehr, ich bekomme Angst.
Wo gehöre ich hin? Wo ist zu Hause?
Ich sitze in der großen, vom Sonnenaufgang durchfluteten Abflughalle und treffe auf Johannes, der mich auf andere Gedanken bringt und meine wässrigen Augen durch seine Geschichte trocknen lässt. Verstohlen beiße ich in mein Sandwich, das ich mir in der WG mitten in der Nacht geschmiert hatte. Tamaras Geheimtipp, ein Brötchen mit roter Bohnenpaste zu bestreichen und mit Tomatenscheiben zu belegen, zahlt sich aus.
Johannes kommt aus Pillnach bei Straubing und ist acht Monate durch Zentralamerika gereist. In dieser Zeit hat er, genau wie ich, Spanisch gelernt und die andere Kultur erkundet.
Gedanken aus unserem Gespräch:

„Der Lebenssinn in Deutschland besteht oft daraus, viel Geld und Luxus zu haben. Aber am Ende hat man nichts.“
Deutsche arbeiten sehr hart in der Zeit, in der sie sich am Arbeitsplatz befinden. Das Spassverhältnis ist sehr schlecht, es muss konzentriert und höchsteffizient gearbeitet werden. In anderen Ländern arbeitet man zwar oft mehr, wie in Costa Rica zum Beispiel sechs Tage die Woche, aber dafür weniger gestresst. Da schaut man während der Arbeitszeit mit den Kollegen auch einmal ein Fußballspiel und stärkt den Teamgeist. Burnout? Was ist das?

„Geld sind Nummern, die einem keine Liebe schenken. Es sind Striche auf Papier.“

„Ein Auto macht nicht nur mobil, sondern auch Sorgen. Plötzlich braucht man Sprit, eine Versicherung, einen Stellplatz, muss es waschen und pflegen. Man muss sich absprechen und planen, welches Familienmitglied heute fahren darf oder muss. Und was könnte ein Unfall im Leben verändern?“
Luxus verkompliziert das Leben. Denn durch ihn halst man sich plötzlich ungeahnt neue Arbeit auf.
Das gleiche gilt auch für Perfektion. Warum brauche ich fünfzig verschiedene Nudelsorten zur Auswahl? Es sind doch alles Nudeln! Scheinbar gibt es Situationen, in denen nur die außen gewellte Nudelplatte die richtige für meine Lasagne sein und mein perfektes Gericht nur mit ihr gezaubert werden könnte. Man muss sich der Qual der Wahl im Supermarkt stellen.

„Wenn du jetzt mit einer Aufgabe fertig bist, dann kommen direkt zwei neue Aufgaben. Wenn du aber erst Morgen mit der Aufgabe fertig bist, dann kommen sie erst Morgen.“
Man kann niemals alles schaffen. Und vor lauter Anspruch, alles sofort schaffen zu wollen, verliert man das Leben aus den Augen. Man schafft und arbeitet und hakt Todo Listen ab, aber am Ende hat man keine leere Liste, sondern eine neu gefüllte. Warum nicht zwischendurch eine Pause einlegen und ins Theater gehen? Etwas tun, was nicht auf der Liste steht? Natürlich ist man effizienter, wenn man mehr arbeitet, aber ist nicht die Effizienz das Erstrebenswerte im Leben.

 

Natürlich gelten die Thesen nur abgesehen davon, dass man oft nicht auf den Geldluxus verzichten kann. Auch wir sind uns einig, dass wir diese Thesen niemals zu 100 Prozent umsetzen werden, aber wir möchten sie im Hinterkopf behalten und unser Verhalten ab und zu infrage stellen.
Natürlich hätten wir beide ohne Geld unsere Reise nicht antreten können. Aber manchmal stürzt man sich in die Arbeit, um Geld zu verdienen, ohne zu wissen, ob man diese Arbeit überhaupt möchte. Man verbringt so viel Zeit mit dem Arbeiten, dass die Arbeit an sich erfüllender sein sollte, als das Geld, was man als Entlohnung erhält. Warum darf einem das Arbeiten nicht gefallen?

Flug Costa Rica Manuela Doerr-1

Die Türen schließen sich, das Flugzeug nimmt Anlauf und ich presse meine Nase an der Plastikscheibe links neben mir platt. Mit Kloß im Hals und feuchten Augen, zaubert mir das immer schneller voran rauschende Gefährt, welches alle seine Passagiere ein letztes Mal erbarmungslos in den Sitz und damit gen costaricanische Erde presst, ein breites Grinsen auf das Gesicht.

Abschied fällt schon immer schwer, aber das was kommt, kann vielleicht sogar mit der traumhaften Vergangenheit konkurrieren. Vielleicht ist die Zukunft besser als alles, was bisher war und man muss sich nur wagen und hinaus gehen, kündigen, heiraten, das T-Shirt auf links anziehen und die Eindrücke der Welt neu auf sich einprasseln lassen.
Komm her Deutschland, ich bin wieder bereit für dich!

Ein großes Dankeschön an die neuen Vorbesteller meines Buches: Jan Kessler und „Flaschenbier“